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Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht ...

„Abends wenn ich schlafen geh / vierzehn Engel um mich stehn:

Zwei zu meiner Häupten / zwei zu meinen Füssen

Zwei zu meiner Rechten / zwei zu meiner Linken

Zweie die mich decken / zweie die mich wecken

Zweie die mich weisen / zu Himmelsparadeisen.“

Abendgebet der Kinderzeit. Auch im Haus des Professors für klinische Psychologie Karl Bonhoeffer in Breslau wurde es gebetet. Wenn dann das Licht im Kinderzimmer ausgelöscht wurde, hatten die Zwillinge Dietrich und Sabine ein Spiel, das nach und nach zum Ritual wurde: Sie versuchten, sich das Wort „Ewigkeit“ vorzustellen – nur daran zu denken und sich von keinem anderen Gedanken ablenken zu lassen. Sabine erinnert sich später, dass sie meist die erste war, die einschlief, während Dietrich noch an das Wort „Ewigkeit“ dachte – er fand es majestätisch und ehrfuchtsgebietend. Und er mochte den Gedanken, dass da Engel an seinem Bett – und andere Engel an den Betten anderer Kinder – stehen. Welch eine Geborgenheit!

Darauf kommt Dietrich Bonhoeffer zurück, als er im Frühjahr 1943 verhaftet wird und in einer Zelle des Gefängnistraktes von Tegel einsitzt. Sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Verbrechen des II. Weltkrieges hatten zu seiner Verhaftung geführt. Lange bleibt unklar, zu welchem Urteil sein Prozess führen wird – bis Unterlagen gefunden werden, die ihn belasten und Dietrich Bonhoeffer sich innerlich auf ein Todesurteil, auf die Hinrichtung einstellen muss. In dieser Situation schreibt er am 19. Dezember 1944 an seine Braut: 

„Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und meine Studenten an der Front, sie alle sind für mich stets gegenwärtig. Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längs vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher – das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große unsichtbare Welt, in der man lebt. An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel. Wenn es in dem alten Kinderlied von den Engeln heißt: zwei, um mich zu decken, zwei um mich zu wecken – so ist diese Bewahrung durch gute unsichtbare Mächte am Morgen und in der Nacht etwas, das Erwachsene heute genau so brauchen wie die Kinder. Darum sollst du nicht denken, ich wäre unglücklich.“  

Zu Weihnachten schreibt Dietrich Bonhoeffer dann als Geschenk an seine Familie das Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“

1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

5. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Eine große Ruhe strahlt dieses Gedicht aus. Eine Zuversicht, die sich durch das drohende Todesurteil nicht brechen lässt. Eine Zuversicht, die über das vollstreckte Todesurteil hinaus wirkt. Kurz vor Kriegsende wird Dietrich Bonhoeffer am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. Sein Gedicht verbreitet sich, als die Briefe aus seiner Haftzeit unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlicht werden. Es verbreitet sich zunächst unter Jugendlichen. Einem Jugendmitarbeiter fällt das auf: er erzählt, dass er „bei den Treffen der Jungen Gemeinden immer wieder erlebt, daß ein Junge oder ein Mädchen für das Abendgebet verantwortlich gewesen sei, und sehr oft sei da Bonhoeffers Schlußstrophe gebetet worden – auswendig.“ Er bittet den Komponisten Otto Abel um eine Vertonung dieser Strophe. So entsteht die erste bekannte Melodie zu Bonhoeffers Gedicht. Mehr als 70 verschiedene Melodien zu diesem Text sind seitdem komponiert worden. Ein Zeichen dafür, welche Resonanz Bonhoeffers Worte in den Gemeinden haben – andererseits aber auch ein Zeichen dafür, wie schwer dieser Text in Töne zu fassen ist. 

Was macht es so schwer, eine Melodie zu komponieren, die Bonhoeffers Gedicht wirklich gerecht wird? 

Einerseits ist es die sehr persönliche Sprache – Bonhoeffer schreibt für seine Familie und das ist seinem Gedicht abzuspüren: „so will ich diese Tage mit euch leben / und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Daran vielleicht liegt es, dass ursprünglich nur die siebente Strophe vertont worden ist.

Andererseits wählt Bonhoeffer sehr bewußt ein Versmaß, das eher zum Sprechen als zum Singen passt: Vier Zeilen zu je fünf Hebungen – ein Versmaß, das Ruhe vermittelt, nicht Spannung aufbaut. Darauf kommt es Bonhoeffer an. 

Und schließlich: Dietrich Bonhoeffer entscheidet sich für ein Versmaß, das nicht aus der religiösen Dichtung stammt: Vier Zeilen im Kreuzreim mit gleichbleibend fünf Hebungen – das kommt im Gesangbuch sonst nie vor.

Anders als sein Zeitgenosse Jochen Klepper, der bewußt Kirchenlieder schreiben wollte und sich dafür an überkommenden Gedichtformen orientiert hat, wählt Bonhoeffer eine religiös noch nicht vernutzte Form. Als Theologe ist er vor allem an den Möglichkeiten einer nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe und Vorstellungen interessiert gewesen. Auch das prägt sein Gedicht und gibt ihm die starke Anmutung einer unverbrauchten und tief empfundenen Sprache: „Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen / das Heil, für das du uns geschaffen hast.“ 

Religiöse Sprache würde formulieren: „Das Heil, das du für uns bereitet hast.“ Gott schenkt uns das Heil – in Predigten kehrt dieser Topos in ermüdender Häufigkeit wieder. Aber lass Dir dagegen mal den Gedanken nahegehen, dass Gott Dich für das Heil geschaffen hat

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