„Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitest hast vor allen Völkern.“
Lukas 2,30-31 - Monatsspruch Dezember
Alt ist er geworden, Simeon. Die Augen sind schwach. Die Hände kann er zum Beten noch zusammenlegen. Aber die Finger ineinander zu verschränken um die Hände zu falten – das gelingt ihm nur mit Anstrengung, gicht-steif halt. Aber sein Gesicht wirkt zufrieden.
Und immer wieder schaue ich in dieses alte Gesicht – es ist nicht respektlos, dieses Gesicht immer wieder und lange anzuschauen. Dafür ist es ja gemalt worden! Von Rembrandt. Dafür hängt dieses Gemälde ja im Museum – im Nationalmuseum in Stockholm. Rembrandts „Lobpreisung Simeons“.
Immer wieder hat Rembrandt diese Szene gemalt: Maria und Joseph kommen mit ihrem acht Tage alten Kind in den Tempel. So wie Eltern heute mit ihrem Neugeborenen in die Kirche kommen, um es taufen zu lassen.
Immer wieder hat Rembrandt diesen Tempel gemalt, mit prächtigen Säulen und weiten Hallen, in denen sich die kleinen Menschen dem großen Gott nahen. Die Eltern, das Kind, die Priester, Simeon, Hanna. Diese Szene hat Rembrandt nicht losgelassen. Und mit jedem Gemälde lässt Rembrandt etwas weg, konzentriert er die Szene. Immer weniger Figuren, immer weniger Staffage. Immer näher der Blick auf das Kind. Und auf den alten Simeon. Bis er in seinem Todesjahr 1669 das letzte Mal diese Szene malt. Da ist nur noch das greise Gesicht Simeons und das junge Gesicht des Kindes zu sehen und ganz schwach im Hintergrund ein Frauengesicht: ob Maria oder ob Hanna, wer weiß das schon – es ist Rembrandt nicht mehr wichtig gewesen.
Alt ist er geworden, dieser Simeon. Aber nicht müde! Genau das geht von diesem Bild nicht aus: kein müder alter Mann, sondern einer, dem ein Lebenstraum in Erfüllung geht. Das hatte er sich gewünscht, von ganzem Herzen gewünscht: „Mit meinen Augen möchte ich den Heiland sehen!“
„Mit meinen Augen werde ich den Heiland sehen!“ – Irgendwann war ihm der Wunsch zur Gewissheit geworden: Ich werde nicht sterben, bevor ich nicht mit meinen Augen das Heil Gottes gesehen habe: den Christus des Herrn. Und dann dieses Gefühl: Heute musst Du in den Tempel gehen! Mach dich auf! Lauf los - den Weg kennst Du, den findest Du trotz Deiner schwachen Augen - wie im Schlaf.
Und nun steht er da im Tempel. Und sieht das Kind. Seine Mutter hat es ihm in den Arm gegeben. Mit seinen steifen Händen hält Simeon ungelenk das Kind. Und auf seinem Gesicht liegt Zufriedenheit. Eine Zufriedenheit, die sich auf mich überträgt. Jedes Mal, wenn ich in Stockholm in’s Nationalmuseum gehe zu diesem Bild. Jedes Mal, wenn ich es in einem Bildband anschaue. Jedes Mal, wenn ich im Lukasevangelium die Stelle lese, die in diesem Dezember unser Monatsspruch ist.
Simeons Zufriedenheit überträgt sich auf mich.
Keine satte Zufriedenheit.
Keine leistungsstolze Zufriedenheit.
Es ist das Gesicht eines Menschen, dem Frieden zugesprochen worden ist.
Ein Leben lang hatte Simeon sich nach Frieden gesehnt. Ein Leben lang hatte Simeon um diesen Frieden gebetet. Wie oft war er hier zum Tempel gegangen. Wie viele Stunden hatte er hier gebetet. Wie groß war seine Sehnsucht nach Frieden gewesen. Eine brennende Sehnsucht.
Für den Frieden hatte er nicht viel tun können. Er hatte sich keiner der Organisationen und Bewegungen anschließen können, die lauthals oder klammheimlich für das stritten, was sie sich unter „Frieden“ vorstellten. Manchen Freund hatte Simeon gehabt, der sich aus der gleichen brennenden Friedenssehnsucht heraus den Aufständischen angeschlossen hatte oder gar zum Terroristen geworden war. Aber Gewalt war kein Weg. Das war für Simeon immer klar gewesen. Simeon hatte gebetet. Sein Leben lang.
Getan hat er auch anderes – natürlich. Irgendwie musste der Lebensunterhalt verdient werden. Und immer gab es auch etwas, das für andere Menschen getan werden konnte. Zuflucht geben für Menschen, die zur Flucht genötigt waren. Zu essen geben für Menschen, die Mangel litten. Zutrauen geben für Menschen, die sich von der Seele reden mussten, was sie erlebt hatten. Simeon hatte all das gegeben.
Vor allem aber hatte Simeon gebetet. Und sich gesehnt. Nach Gottes Heil hatte er sich gesehnt. Und nun ist es da! Welche Zufriedenheit liegt da auf seinem Gesicht. Ein großes Zur-Ruhe-kommen spricht aus den Worten, die Simeon jetzt betet:
Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,
ein Licht zur Erleuchtung der Heiden
und zum Preis deines Volkes Israel.
Simeons Gebet ist in vielen Ordensgemeinschaften zum Abendgebet geworden. Vielen Menschen über die Jahrhunderte hinweg ist es zu ihrem persönlichen Abendgebet geworden. Es hat Menschen geholfen in ihrer letzten Lebensphase: sich getrost und mit einem befriedeten Herzen aus diesem Leben zu verabschieden und zu lösen.
Für Rembrandt ist es sein Moment des Zu-Frieden-Werdens nach einem rastlosen und konfliktreichen Leben. Sein Bild ist ein Nachbeten des Lobgesanges Simeons.
Ich weiß nicht, wieviele Kirchen Stockholm hat. Ein Reiseführer könnte Auskunft geben. Aber zu der Zahl, die der Reiseführer nennt, würde ich in jedem Fall noch eine Kirche hinzuzählen. Der Raum im Nationalmuseum, in dem Rembrandts „Lobgesang des Simeon“ hängt, wird durch dieses Bild für mich eine Kirche.
Ein Ort der davon Zeugnis gibt, dass Gottes Heil in unserer Welt ist.
Ein Ort, der mich zu-Frieden macht.
Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@kircheanhalt.de
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