„Was ist Wahrheit? Darüber möchte ich heute mit den beiden Expert*innen ins Gespräch kommen.“ Sagt der Moderator da ganz vorn auf der Bühne im Brustton der Überzeugung. Der Saal ist stoppenvoll und viele Menschen stehen sogar auf den Gängen und in der Tür. Ich sitze ungefähr in Reihe 10 oder 12. Und in mir stöhnt es laut auf. „Was ist Wahrheit?“ Möchte er das jetzt ernsthaft diskutieren?! Soll es hier und jetzt philosophisch werden? Als ob man in einem Podium von maximal 60 Minuten die Frage nach der Wahrheit beantworten könnte. Was denkt der sich denn? Das funktioniert doch nicht.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht beim Propheten Jeremia und er begegnet euch heute in Abschnitten.
16So spricht der Herr Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. 17Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
Nach den ersten 20 Minuten vor dieser Bühne merke ich: weil das Thema eingegrenzt ist, kann man vielleicht doch über Wahrheit reden. Es geht um den Klimawandel und vorne auf dem Podium sprechen eine bekannte Klimaökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und eine Philosophin und Publizistin. Und doch sprechen Sie, unter der Überschrift was ist Wahrheit eher darüber wie bekannte und belegte Fakten abgeschwächt, in Zweifel gezogen und verdrängt werden durch Interessengruppen mit bestimmten Zielen. Sie reden davon wie ganze Mechanismen geschaffen werden, die das was offensichtlich und belegbar wahr ist, in den Hintergrund treten lassen. Sie reden von der kulturellen Erscheinung des Remixes, der positives hervorbringt und kreative Möglichkeiten eröffnet. Gleichzeitig steht dieses remixen – also neu-Mischen oder neu-zusammenstellen in einer großen Gefahr. Mische einer bekannten und anerkannten Wahrheit nur ein wenig unwahres hinzu und wir sind mitten in dem Was passiert. Das Gift des Zweifels und der Lüge wirkt auch in kleineren Dosen, wenn es bewusst eingesetzt wird.
18Aber wer hat im Rat des Herrn gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20Und des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. 21Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie.
Und mir geht dieses Wort aus dem Propheten Jeremia so nahe. Wenn alles auf dem Tisch liegt. Wenn Gottes Wille eigentlich klar sein sollte. Wie kann es sein, dass es dennoch nicht gehört, nicht beachtet, nicht gelebt wird? Sind es immer nur die Anderen, die bewusst ablenken, andere – ja alternative Fakten – schaffen. Oder bin ich es womöglich selbst, der lieber anderes hört, wichtiges ignoriert und überdeckt? Offensichtlich glaubte man auch damals lieber, was man glauben möchte. Und ich kenne es nur zu gut. Gerne höre ich das was ich hören möchte. Viel lieber als das was der oder die andere tatsächlich sagt. Es ist natürlich auch ein Selbstschutz. Unbequemes ist viel anstrengender zu verdauen. Denn es ruckelt an den Grundfesten der eigenen Überzeugung. Stellt dich und dein Verständnis der Welt in Frage. Das ist nicht so leicht.
22Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der Herr. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der Herr.
25Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
Und es gibt sie doch, die Menschen die einen Traum haben. Menschen, die davon Träumen wie es sein könnte. Die diesen Traum versuchen zu leben und sich einsetzen für eine bessere Welt. Die möchte ich doch nicht alle verurteilen. Kann man doch auch etwas Gutes aus einer anderen Motivation heraus tun. Dadurch wird es ja nicht zwangläufig schlechter. Der Tenor der beiden Frauen auf dem Podium war: es braucht mehr Utopien und weniger Dystopien. Also der Wandel, den wir jetzt angehen müssen, der sollte nicht nur damit begründet werden, was alles schiefgehen könnte wenn wir es nicht tun. Für die Menschen wäre es vielleicht besser, wenn häufiger aufgezeigt bekämen, was alles Gutes dabei herauskommen könnte, wenn dieser große Wandel gelingt. Vielleicht doh mehr in Träumen von der besseren Zukunft reden als in Drohszenarien.
26Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der Herr. 29Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?
Was ist Wahrheit?
Und wie erkenne ich sie?
Diese Frage sie ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Und Menschen werden sich vermutlich immer selbst in der Wahrheit wähnen, sonst könnten sie nicht gut mit sich selbst leben. Und gleichzeitig bleibt da immer die Gefahr, den vermeintlich falschen Propheten auf den Leim zu gehen. Diese Gefahr ist heute nicht kleiner geworden eher im Gegenteil. Mit Hilfe von KI können täuschend echte Bilder und Videos von Dingen und Situationen erzeugt werden, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat. Und wie so oft in der Geschichte geht der Technische Fortschritt schneller voran, als unser Verantwortungsbewusstsein und unsere Fähigkeit damit umzugehen. Und doch fordert Gott uns dazu heraus, setzt alles darauf, dass wir erkennen können. Alles dazu nötige hat er uns gegeben. Und dennoch stehe ich so oft vor dieser Frage: was ist wahr?
Ich glaube, dass es nur eine unbedingte und unveränderliche Wahrheit gibt. Und diese Wahrheit ist bei Gott.
Ich glaube auch, dass Gott uns Menschen immer wieder Anteil an dieser Wahrheit gibt. Immer dann wenn er sich offenbart. Immer soweit, wie der menschliche Geist zu erfassen fähig ist.
Und ich glaube, dass ein gewichtiger Anteil der Wahrheit Gottes, die Liebe ist. Zu der er uns unbedingt auffordert.
Und weil ich das alles glaube, heißt das für mich folgendes:
1. Ich besitze nicht die absolute Wahrheit sondern nun den Teil, den ich erkannt habe. Fehler sind da möglich. Und deshalb möchte ich mit meiner erkannten Wahrheit auch demütig umgehen.
2. Unsere Kirche ist von Grund auf als Gemeinschaft der Gläubigen gedacht. In dieser Gemeinschaft geht es auch darum über die jeweils erkannten Wahrheiten im Gespräch zu sein. Und sie immer wieder an der heiligen Schrift und besonders am Liebesgebot zu messen.
3. Weil die absolute Wahrheit nur bei Gott ist, muss ich mich gedulden und neugierig bleiben auf das was andere so denken, glauben und hoffen. Und all dem zumindest offen gegenüber bleiben.
Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Sagt Gott durch den Mund des Propheten Jeremia. Das heißt leider auch: nicht viel eher. Bis dahin gilt für mich das, was die Jahreslosung uns aufträgt: ALLES was ihr tut, geschehe in Liebe.
Amen (Gehalten von Pfarrer Martin Olejnicki am 1. Sonntag n. Trinitatis, 2.6.2024 in St. Jakob Köthen)
Pfarramt Hallesche Straße 15a, 06366 Köthen
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